Der große amerikanische Philosoph des 19. Jahrhunderts, Ralph Waldo Emerson, glaubte, dass wir ein Nonkonformist sein müssen, um zu gedeihen. Wenn wir nur denken, was andere denken, und tun, was andere tun, schränken wir unser Potenzial ein und machen unsere Gesundheit oder Krankheit von gesellschaftlichen Kräften abhängig, die wir nicht kontrollieren können. Also schrieb er ein Plädoyer für die Nonkonformität.
Konformismus bedeutet, dass wir unser Leben an den vorherrschenden Normen, Werten und Idealen unserer Gesellschaft ausrichten. Es bedeutet, dass wir zulassen, dass die Grenzen und Schablonen unserer Kultur unser Selbstverständnis prägen. Die meisten von uns werden zu Konformisten, ohne darüber nachzudenken, was sie tun – wir sehen, dass alle um uns herum konform sind, und so fühlt es sich natürlich an, das Gleiche zu tun. Aber Konformität hat ihren Preis.
In jeder Gesellschaft werden nur bestimmte Charaktereigenschaften von den Entwicklungen der Konformität begünstigt, während viele andere – die für sich genommen gesund sein mögen oder gar zwingend erforderlich, um eine langfristige Prosperität einer Gesellschaft zu gewährleisten – mit Gleichgültigkeit oder Geringschätzung betrachtet werden. In unserer Zeit wird beispielsweise die Extrovertiertheit der Introvertiertheit vorgezogen, der Gehorsam dem Ungehorsam, die Risikoscheu der Risikobereitschaft und die Fremdverantwortung der Eigenverantwortung. Manche Menschen mögen feststellen, dass ihr inneres Wesen in die Form der Konformität passt, aber viele werden das Gegenteil feststellen. Für diejenigen von uns, die zur letzteren Gruppe gehören, ist Konformität wie das Tragen einer Maske, die sich dem Gesicht eines anderen anpasst. Die Maske der Konformität fühlt sich nie angenehm an, und manchmal kann sie dazu führen, dass wir uns wie ein Betrüger oder Hochstapler fühlen.
Konformität führt auch zu Verschwendung – verschwendete Zeit, verschwendete Gelegenheiten und verschwendete Ressourcen. In dem Bestreben, andere zufrieden zu stellen und den Schein zu wahren, tun wir Dinge, die wir nicht schätzen, sagen Dinge, die wir nicht glauben, und beschaffen uns Dinge, die wir nicht brauchen.
Die Gefahren der Konformität erreichen jedoch ein pathologisches Ausmaß, wenn eine Gesellschaft, wie in unserer Zeit, mit Lügen infiziert wird. Das können Lügen im Sinne von tatsächlicher Unwahrheit sein, was auch, aber nicht so häufig anzutreffen ist, oder Lügen im Sinne von bewusstem Weglassen wesentlicher Wahrheiten, was viel häufiger der Fall ist.
Es entsteht der Eindruck, Politiker lügen fast so häufig, wie sie den Mund aufmachen. Ein verzerrtes Bildungssystem lehrt Lügen zu Themen wie Wissenschaft, Geschichte, Ethik, Wirtschaft und Politik. Die Medien lügen über das Weltgeschehen. Und die Unternehmen belügen uns über den Wert oder die Sicherheit ihrer Produkte.
Da es an Lügen in der Gesellschaft nicht mangelt, führt der moderne Weg der Konformität auf Abwege. Er ermutigt uns, uns zu verschulden, um Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, uns ungesund zu ernähren, den Machthabern zu gehorchen, Medikamente einzunehmen, die mehr schaden als nützen, unsere Leidenschaft zugunsten von Geld oder sozialem Status zu vernachlässigen, und wenn wir uns einmal ängstlich oder deprimiert fühlen, besteht der konformistische Weg darin, uns am Bildschirm abzulenken oder uns mit Psychopharmaka zu betäuben.
Ein Nonkonformist in der modernen Welt zu sein, bedeutet, den Lügen, die unsere Gesellschaft prägen, und dem Selbst, das durch diese Lügen geformt wurde, zu entsagen. Dieser Akt der Entsagung ebnet den Weg zur Selbstveränderung: „Der Mensch, der sich selbst entsagt, kommt zu sich selbst.“ (Ralph Waldo Emerson, Vorlesung für Theologiestudenten). Wenn wir die Gewohnheiten der Konformität aufgeben und aufhören, ihre Ideale zu verfolgen, machen wir den Weg frei für das Auftauchen eines authentischeren Seins. Wir nehmen die falsche Maske der Konformität ab und lassen unsere individuelle Persönlichkeit durchscheinen.
Aber unser Verzicht sollte sich nicht nur auf die Selbstentsagung beschränken, wir sollten auch auf die Zugehörigkeit zu Organisationen und Institutionen verzichten, die von den Lügen unserer Gesellschaft unterwandert sind. Denn ein Nonkonformist sollte unter seiner eigenen Fahne stehen, nicht unter der Fahne eines anderen.
Zusammen mit dem Akt der Entsagung sollte der Nonkonformist seinem Leben eine neue Richtung geben, denn die bloße Ablehnung konformer Lebensweisen, ohne sie durch etwas Neues zu ersetzen, wird uns auf einen Weg zielloser und sinnloser Verzweiflung führen. Wir brauchen neue Aktivitäten, um uns zu beschäftigen, neue Gewohnheiten, um unser Leben zu strukturieren, und neue Ziele, um unserem Leben eine Richtung zu geben. Bei der Neuausrichtung unseres Lebens sollten wir mit dem arbeiten, was uns die Natur mitgegeben hat. Indem wir unsere Stärken und Talente kultivieren und unser Leben auf Tätigkeiten ausrichten, die uns Spaß machen, setzen wir unsere Kräfte frei und ebnen den Weg für ein großartiges Leben.
Wenn die Konformität uns in die Irre geführt hat und wir nicht wissen, wo die Wahrheit liegt, kann ein Aufenthalt in der Einsamkeit helfen. Fernab vom Geschwätz und der Ablenkung durch andere Menschen kann die Einsamkeit uns helfen zu verstehen, wer wir sind und was wir vom Leben wollen. Um aber als Nonkonformist zu gedeihen, muss man das optimale Gleichgewicht zwischen Einsamkeit und Gesellschaft finden. Wir müssen lernen, in Harmonie mit anderen zu leben, ohne das übermäßige Bedürfnis zu haben, ihre Zustimmung zu erlangen oder ihre konformen Verhaltensweisen zu imitieren.
„Was ich tun muss, ist das Einzige, was mich interessiert, und nicht, was die Leute denken. Diese Regel kann für die ganze Unterscheidung zwischen Großartigkeit und Armseligkeit dienen. Es ist leicht, in der Welt nach der Meinung der Welt zu leben; es ist leicht, in der Einsamkeit nach der eigenen Meinung zu leben; aber der große Mann ist derjenige, der inmitten der Menge mit vollkommener Süße die Unabhängigkeit der Einsamkeit bewahrt,“ formulierte Emerson in Self-Reliance.
Viele Menschen erkennen die Krankheit der modernen Gesellschaft, aber nur wenige wählen den Weg der Nonkonformität als Mittel zur Flucht. Ein Grund dafür ist die Angst, und zwar die Angst vor Spott und Ablehnung. Der Nonkonformist sollte diese Angst überwinden oder zumindest lernen, dass konstruktives, nonkonformistisches Handeln auch dann möglich ist, wenn man von Angst durchzogen ist.
Wenn wir lernen, mit Spott und Ablehnung umzugehen, kann es hilfreich sein, in dieser Erfahrung einen konstruktiven Wert zu erkennen. Sie bietet uns nicht nur die Gelegenheit, den Mut zu kultivieren, angesichts unserer Ängste zu handeln, sondern darüber hinaus enthüllen diejenigen, die uns mit Verachtung behandeln, manchmal Wahrheiten unseres Charakters, die diejenigen, die sich um uns sorgen, zu sehr scheuen aufzuzeigen. Aber selbst wenn der Spott nicht konstruktiv ist, selbst wenn er auf Neid oder Lügen beruht, können wir die Missbilligung anderer als motivierenden Antrieb nutzen, der uns zu größeren Leistungen anspornt. Wenn wir lernen, die Angst vor Spott und Ablehnung zu überwinden, werden wir über eine entscheidende Fähigkeit in der Kunst der Nonkonformität verfügen.
Aber es gibt noch ein weiteres Hindernis, das viele davon abhält, den Weg eines Nonkonformisten zu gehen, und das ist die Trägheit. Unseren eigenen Lebensweg zu kultivieren, erfordert harte Arbeit, Disziplin und eine rücksichtslose Beharrlichkeit im Handeln. Sobald der Nonkonformist ein wertvolles Ziel auswählt, bleibt er dabei und lässt sich nicht vom Kurs abbringen, nur weil ein paar Konformisten seinen Weg missbilligen.
Ein unkonventioneller Weg macht uns gesünder, glücklicher und leistungsfähiger, aber er macht uns auch zu einer Kraft des Guten in der Welt. Denn der innere Zustand unseres Wesens manifestiert die Ereignisse der äußeren Welt. Konformisten, die nach Lügen leben, sind der Ausdruck einer kranken Gesellschaft. Der Nonkonformist, der sich an der Wahrheit seiner inneren Natur und der Wahrheit der Welt ausrichtet, wird Dinge auslösen, die als Gegenmittel für eine verrückt gewordene Welt wirken.
(inspiriert von Academy of Ideas)